Liebe Leserinnen und Leser,
denken Sie manchmal – bewusst oder unbewusst – an Ihr Bewusstsein? Im April-Newsletter habe ich hierzu einiges zusammengefasst. Nach dem Lesen sind Ihnen vielleicht unbewusste Dinge des Alltags bewusster?!
Ich lade Sie ein – machen Sie einen Versuch:
Wir wachen morgens nach einem langen oder kurzen Schlaf auf; Geräusche bahnen sich ihren Weg in unseren Kopf; das laute Klingeln des Weckers reißt uns aus den Träumen. Schon kommen die ersten Gedanken: wie spät ist es, welcher Tag ist heute, was muss ich heue alles erledigen? Manchmal ist es so, dass wir die Nacht gar nicht bewusst erleben, weil wir so rasch und unbemerkt wieder zu uns kommen und einen Zustand erlangen, den wir „Bewusstsein“ nennen. Ein Zustand, der uns jedoch sehr vertraut ist.
Nur im Bewusstsein können wir uns „Gedanken machen“. Nur wenn wir bei Bewusstsein sind, können wir Freude empfinden oder auch Trauer, Schmerz oder sonstige Gefühlsregungen sowie Entscheidungen treffen oder Pläne für die Zukunft machen. Das ist für uns alle selbstverständlich.
Alle Eindrücke, die wir im Laufe eines Tages gewinnen, sind für jedes einzelne Individuum höchstpersönlich. Kein Mensch kann über einen anderen urteilen, wie beispielsweise der Schweinsbraten schmeckt oder sich die Umarmung eines geliebten Menschen anfühlt. In diesem Zusammenhang ist der Philosoph Ludwig Wittgenstein zu zitieren mit seinem Kommentar „ich bin meine Welt“. Kein anderer Mensch kann etwas erleben, so wie Sie es selbst erleben. Das ist schlichtweg unmöglich.
Ich weiß, dass ich denke – doch weshalb weiß ich, dass ich weiß, dass ich denke?
Die Beschäftigung mit dem Geist war jahrhundertelang ausschließlich den Geisteswissenschaften vorbehalten. Der französische Philosoph René Descartes, 1640, vertrat die Ansicht, dass der Mensch aus zwei voneinander getrennten „Wesenseinheiten“ besteht: nämlich einer materiellen und einer geistigen. Damit Seele und Körper zueinander in Kontakt treten könnten, machte er die Zirbeldrüse im Gehirn verantwortlich.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts kamen jedoch Zweifel an dieser dualistischen Sicht von Leib und Seele auf. Immer mehr verbreitete sich die Ansicht unter Forschern, dass das Gehirn unser Denken, unser Bewusstsein, verursache.
Heute sind sich die Forscher sicher, dass unser Bewusstsein von den Denkorganen in unserem Kopf hervorgerufen wird. Hirnforscher und Neuropsychologen unterscheiden bis zu neun Bewusstseinszustände. Beispielsweise sind zu nennen:
- Das Erfassen von Vorgängen in der Umwelt – Ich höre ein Geräusch
- Das Erfassen von Vorgängen im eigenen Körper – Ich habe Schmerzen
- Mentale Zustände – Ich denke nach
- Bedürfnisse – Ich habe Durst
- Die Zugehörigkeit des eigenen Körpers – Das sind meine Beine
Trotz dieser unterschiedlichen Bewusstseinszustände fühlt es sich für uns immer noch so an, als sei es stets dasselbe Ich. Bin ich mir doch bewusst darüber, dass es mich juckt oder dass ich Hunger habe, dass ich gerade wach bin oder über den nächsten Urlaub nachdenke. Aber, jeder dieser einzelnen Ich-Zustände kann ausfallen. Zudem kommt hinzu, dass die verschiedenen Bewusstseinszustände in der Regel nicht alle gleichermaßen präsent sind. Vielmehr wechseln sich diese ständig ab.
Zum Beispiel: Ich denke gerade über den nächsten Urlaub nach; das Telefon läutet (ich höre das Läuten), ich laufe zum Telefon, ich stoße mir den Fuß (ich habe Schmerzen), … Es ist eine erstaunliche Leistung unseres Gehirns, die einzelnen Bewusstseinszustände aneinander zu reihen. In unserem Bewusstsein gibt es hierfür keinen „Schnitt“ wie wir dies beispielsweise bei Filmen kennen.
Den Wechsel unserer Ich-Zustände kann man sich vorstellen wie eine Art Wettbewerb. In unserem Gehirn ringen fortlaufende Informationen über uns und unsere Umwelt um Aufmerksamkeit. Aber auch unser Aufmerksamkeitsbewusstsein verfügt nur über eine begrenzte Kapazität. Wie mit einer Art Suchscheinwerfer sucht sich das Bewusstsein seinen Fokus, auf den es sich richtet – was es für wichtig erachtet und was für weniger wichtig erachtet. Beispielsweise hören Sie einer Geschichte zu. Die gesamte Aufmerksamkeit ist auf das Zuhören gerichtet. Umgekehrt verschwinden Eindrücke auch sehr schnell, je weniger wir uns damit beschäftigen. Hirnforscher haben festgestellt, dass ein Sinnesreiz bereits nach 5 Sekunden unserem Erinnerungsvermögen entfällt, wenn er unsere Aufmerksamkeit nicht genügend erregt. Eine bedeutende Rolle bei der Auslese unseres Bewusstseins spielt, laut Hirnforscher, der Talamus, eine kleine Region im Hirn.
Einige Neurowissenschaftler vertreten auch die Ansicht, dass die bewusste Wahrnehmung das Resultat eines Konkurrenzkampfes von Nervenzellverbänden ist. Beispielsweise gehen wir im Park spazieren und es kommt ein bellender Hund auf uns zugelaufen. Aufgrund dieser Nervenzellverbände ist unsere Aufmerksamkeit nur auf diesen bellenden Hund gerichtet und wir nehmen damit nicht mehr die Umwelt wahr, wie beispielsweise den Teich oder dass es zu regnen begonnen hat.
In diesem Zusammenhang fragt es sich natürlich, ob unser Bewusstsein nichts anderes ist als ein Senden elektrischer Impulse? Die Antwort darauf ist ernüchternd – die Forscher wissen es nicht.
Manche Dinge lassen sich eben nicht erforschen. Unsere Welt ist bunt, wir erleben Farben und Klänge, Gerüche und Geschmäcker, wir machen uns Gedanken über die Zukunft, aber wir wissen nicht warum. Vermutlich ist es so, wie Johann Wolfgang von Goethe schrieb: „Das schönste Glück des denkenden Menschen ist es, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.“
Mit diesen Worten wünsche ich Ihnen einen wunderschönen Frühlingsbeginn. Übrigens – auch das Wetter lässt sich nicht immer er/begründen….
Herzliche Grüße,
Natascha Freund
Quelle: Geokompakt Nr. 32/2012
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