Jahr: 2016 (Seite 1 von 3)

Wenn man einen Engel trifft …

Liebe Leserinnen und Leser,

vor einigen Tagen hatte ich ein Erlebnis…

Ich war auf dem Weg zum Bahnhof, um einen Zug zu erreichen. Wie immer in Eile und (zu) spät dran. Aus meiner Eile und meinen Gedanken wurde ich sanft gerissen, als mich an einer kleinen Straßenkreuzung eine Frau ansprach. Sie war schon älter, rüstig, aber auf ihren Stock gestützt.

„Können Sie mir bitte über die Straße helfen? Ich bin etwas unsicher.“

Und bevor ich etwas sagen konnte, hatte sie sich bei mir eingehakt und wir gingen über die Straße. Gut am anderen Ende angekommen sagte sie:

„Danke! Wissen Sie, ich bin schon 95 Jahre alt und noch ganz gesund. Der Doktor hat zu mir gesagt, dass er noch nie so einen gesunden alten Menschen gesehen hat und wissen Sie warum? Achten Sie auf gute Ernährung, und leben Sie, ja, leben Sie! Vergessen Sie nicht auf das Leben.  Jetzt will ich Sie aber nicht aufhalten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“

Und sie setzte ihren Weg zum Supermarkt fort.

Auch ich kam wieder schnell auf mein Tempo, aber mir geht die alte Dame seither nicht mehr aus dem Kopf. Gibt es Zufälle? Was wollte sie mir sagen?

Ich möchte dieses Erlebnis mit Ihnen teilen, um auch Sie zum Nachdenken anzuregen. Gerade jetzt zur Weihnachtszeit ist es manchmal besonders hektisch. Wäre es nicht schön in Harmonie und Gesundheit und im Einklang mit der Welt so alt zu werden wie diese Dame? Selbst wenn nicht allen von uns ein so langes Leben gewehrt ist, sollten wir doch am Ende sagen können „Ich habe gelebt!“ – was immer das für jeden von uns bedeutet.

Ich lade Sie ein, darüber nachzudenken, was Sie tun. Müssen wir wirklich dies tun und das tun, noch Termin da, noch eine Besorgung dort und Aufräumen sollte auch noch sein, und…und…und…

…Was bedeutet für Sie „leben“?

Ich schließe diesen Newsletter mit einem Zitat von Mark Twain

„Tanze, als würde niemand zusehen.

Liebe, als wurdest du niemals verletzt.

Singe, als würde niemand zuhören.

Lebe, als wäre der Himmel auf Erden!“

 

Mit lebensfrohen Grüßen

Natascha Freund

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Was heißt heute Familie?

Liebe Leserinnen und Leser,

Vater, Mutter, Kind(er) – das war von Kindesbeinen an mein Begriff von Familie. Doch auch dieser Begriff unterliegt, wie vieles einem Wandel.  Schauen wir doch mal auf Wikipedia, dann wird es schon komplexer:

„Familie (von lateinisch famulus „Diener“ bezeichnet soziologisch eine durch Partnerschaft, Heirat, Lebenspartnerschaft, Adoption oder Abstammung begründete Lebensgemeinschaft, im westlichen Kulturraum meist aus Eltern oder Erziehungsberechtigten sowie Kindern bestehend, gelegentlich durch weitere, mitunter auch im selben Haushalt lebende Verwandte oder Lebensgefährten erweitert.“

Ursprünglich gab es die Großfamilie, bestehend aus Vater, Mutter, Kindern, Großeltern, Verwandtschaft und Dienstpersonal. Über die Jahrhunderte hinweg schrumpfte die Familie. Ist die Konstellation Vater-Mutter-Kind nur mehr eine Fiktion?

In der Zeitung „Die Zeit“ erschien dazu am 15.10.2015 ein Artikel („Soll das eine Familie sein?“), die das Spektrum an Möglichkeiten aufzeigt, was heute eine Familie sein kann:

Wolfgang, der 30 Jahre lange katholischer Priester war, bevor er sich für das Leben mit seinem Mann Peter entschied und zum evangelischen Pfarrer wurde;
Susanne, die die Aufteilung der Kinder wochenweise mit dem von ihr  getrennten (Ex)-Partner  als „unordentliches Theater“ beschreibt und über das Alleinerziehen schreibt, das oft  „das Ende einer zermürbenden Auflösung aller einstigen Hoffnungen, Sehnsüchte, Gefühle“ bedeutet;
Evelyn, die ohne Kinder mit ihrem Liebsten lebt. Ist das eine Familie?
Sabine hat vor 23 Jahren eine Wohngemeinschaft gegründet. Ihr Wohnpartner von damals hat geheiratet, Sabine auch; in Summe haben sie drei Kinder und Sabines Schwester und ihr Patenkind leben auch dort. Sind diese 9 Personen eine Familie?
Und da hätten wir auch noch die „Regenbogenfamilie“: Zwei Väter, zwei Mütter und zwei Kinder. Andreas hat mit Elisabeth zwei Kinder. Heute leben Andreas mit Werner und Elisabeth mit Julia zusammen. Die Kinder sind jedes zweite Wochenende bei ihrem leiblichen Vater und Bonuspapa; die übrige Zeit verbringen sie mit ihrer leiblichen Mutter und Bonusmama.
Ehen sind heute häufig zu Lebensabschnittspartnerschaften geworden, die sequentiell aufeinander folgen. Ehe ist nicht mehr lebenslang und nicht mehr unbedingt auf zwei Beteiligte beschränkt. In Nordamerika wird diskutiert, ob Ehe ein Bund aus nur zwei Menschen bleiben soll. Warum nicht zwischen einem Mann und mehreren Frauen oder einer Frau und mehreren Männern?

Es hat sich in diesem Zusammenhang auch viel im Adoptionsrecht getan.  Ursprünglich konnte nur ein Ehepaar ein Kind adoptieren. Heute gibt es die Unterscheidung zwischen Fremd- und Stiefkindadoption. Letzteres ist auch in Lebensgemeinschaften und eingetragenen Partnerschaften möglich.  Und war da nicht Gabriele Pauli, die Landrätin aus Fürth / Bayern, die vorschlug, dass Ehen alle 7 Jahre auf den Prüfstand sollen, so eine Art „Ehe-TÜV“?

Sind Sie jetzt ratlos und wissen nicht, was Familie ist?

Das verbindende Element ist wohl, dass alle Konstellationen auszeichnet, dass es  Menschen gibt, die aus eigener Entscheidung oder aus Gründen der Abstammung miteinander verbunden sind – als Partner, als Eltern, als Kinder. Vielleicht ist ja Familie dort, wo „Liebe“ oder zumindest „Zusammenhalt“ ist?

Was auch immer Familie für Sie ist, für andere kann es etwas ganz anderes sein und wir tun gut daran, offen zu sein für das, was Familie sein und vor allem, was sie den verbundenen Menschen geben kann.

Nun lade ich Sie ein zu überlegen, wer zu Ihrer Familie gehört: vielleicht ist es die Nachbarin aus dem 2. Stock oder die Großmutter ihrer besten Freundin oder auch die Freundin ihres Neffen. Hauptsache, Sie fühlen sich dabei gut.

Mit familienfreundlichen Grüßen

Natascha Freund

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Sie waren mir von Anfang an sympathisch …

Liebe Leserinnen und Leser,

kennen Sie auch dieses Gefühl…Sie treffen jemanden zum ersten Mal und aus einem für Sie zunächst nicht erklärbaren Grund, ist Ihnen dieser Mensch sofort sympathisch? Bei anderen Begegnungen dauert es oft länger – Wochen oder sogar Monate – bis wir uns mit einer Person wirklich wohlfühlen. Warum ist das so? Und – kann man das beeinflussen?

Der Grund hierfür liegt vermutlich darin, dass wir erst Vertrauen erwerben müssen. Wir wollen die/den andere(n) kennenlernen, das Gemeinsame finden, eine emotionale Verbindung schaffen. Dazu muss jemand beginnen, diesen „Vertrauensvorschuss“ zu geben.

Gehirnuntersuchungen haben gezeigt, dass bei „Sympathie auf den ersten Blick“ der Überträgerstoff Dopamin so außerordentlich aktiv arbeitet, als stünden wir unter Drogen.

Ist das ein Zufall oder können wir solche Momente sogar fördern?

Die Antwort lautet – ja – wir können solche Momente herbeiführen. Doch lassen Sie mich zuvor noch von den beiden Wirtschaftswissenschaftler Keith Murnighan und Donald Conlon berichten, die die Organisationsdynamik von Streichquartetten untersucht haben. Sie wollten herausfinden, warum manche Streichquartette erfolgreicher waren als andere.

Der Grund lag nicht, wie man vermuten könnte, in der reinen musikalischen Fähigkeit, nein, es war vielmehr die Dynamik in der Gruppe. Die Mitglieder unterstützen sich mehr und applaudierten sich auch gegenseitig. Meinungsverschiedenheiten wurden ausdiskutiert; im Vordergrund stand stets die gemeinsame Sache, nicht jedoch die persönliche Profilierung. Jeder wusste – gemeinsam, d.h. nur mit den Fähigkeiten und dem Einbringen aller, war gemeinsamer Erfolg möglich.

Daraus folgt die Frage: Wenn wir alle zu sehr auf uns konzentriert sind, wenn wir für uns immer „ein Solo“ spielen, ist das der Grund dafür, dass sich keine „sympathisches Balance“ einstellen kann?

Was sind also die Bedingungen und Voraussetzungen, die Sympathie fördern – jeder für sich, in ihrem/seinem gewünschten Ausmaß – im privaten, wie auch im beruflichen Kontext?

  • Ähnlichkeit

Ähnlichkeit führt zu größerer Sympathie. Das macht wohl auch den Gruppeneffekt aus – sei es im Zuge einer Ausbildung, einem Arbeitsteam oder den Zuhörern bei einem Konzert. Je mehr Ähnlichkeiten uns mit anderen Menschen verbinden, umso wahrscheinlicher ist es, dass wir uns mit dieser Person gut verstehen. Gleich und gleich gesellt sich eben gern.

Ebenso verhält es sich, wenn wir eine schwierige Lebensphase gemeinsam mit jemandem durchgestanden haben. Das ist eine intensive gemeinsame Erfahrung, baut emotionale Barrieren ab, die wir oft aus Schutzgründen errichtet haben.

Diese Effekte lassen sich beispielsweise gut in Teams umsetzen, insbesondere dann, wenn nicht die Fähigkeiten eines Solisten oder das Schicksal einer Person im Vordergrund stehen.

  • Verletzlichkeit

Glauben Sie, dass wenn Sie sich verletzlich zeigen, andere von Ihnen glauben könnten, Sie seien schwach?

Tatsächlich sind Verletzlichkeit und Selbstoffenbarung im zwischenmenschlichen Kontakt ein Zeichen der Stärke. Mal ehrlich, wie viele Menschen kennen Sie, die Verletzlichkeit zulassen? Wenige? Woran liegt das? Haben wir verlernt, einer anderen Person zu vertrauen?

Was wäre, wenn ich Verletzlichkeit zulassen würde?

Verletzlichkeit kann also Sympathie erzeugen, denn einer offenbart sich dem anderen und der andere lässt sich davon berühren. Zugegeben, nicht in jedem beruflichen Haifischbecken ist diese Situation gegeben.

  • Nähe

Wie viel Nähe lassen Sie in Ihrem Leben zu? Ist das Gespräch, das Sie mit dem Nachbarn über scheinbar unbedeutende Dinge im Fahrstuhl führen, nicht doch auf irgendeine Art bereichernd für Sie?

In diesen Situationen können Sie Verbindung eingehen und Kontakt aufbauen – ohne auf ein Geben und Nehmen zu achten. Es wird von Ihnen nichts erwartet und Sie können auch nichts verlieren, aber Sie können durch das Zulassen dieser Nähe einen Grundstock an Sympathie mit anderen Menschen aufbauen – indem sie sich einfach und offen im Alltag zeigen.

  • Präsenz

Wünschen Sie sich nicht auch manchmal, dass Ihnen der Gesprächspartner mehr das Gefühl gibt, Ihnen zuzuhören? Wie sieht es mit Ihnen aus – sind Sie bei jeder Kommunikation – egal mit wem (!) –  immer vollkommen präsent?

Achten Sie auf Augenkontakt und darauf, dass Sie Ihr Gegenüber gut verstehen – oder hoffen Sie, dass das Gespräch bald vorbei ist?

 

Anhand dieser 4 nur beispielhaft angeführten Merkmale, die alle in Ihrer Hand liegen, können Sie in der Situation jeweils auf andere Menschen zugehen, diesen Menschen Raum geben und sie einladen, näher zu kommen. Sie schaffen eine persönliche Atmosphäre und sind „da“, ohne etwas darstellen zu müssen oder „zu glänzen“. So wird Sympathie entstehen, wenn Sie diesen Vertrauensvorschuss gewähren.

Ich schließe diesen Newsletter mit einem Zitat von Khalil Gibran:

„Vertrauen ist eine Oase im Herzen, die von der Karawane des Denkens nie erreicht wird.“

Mit sympathischen Grüßen

Natascha Freund

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Quelle: Psychologie Heute, Heft 34, 2013.

Handymania

Liebe Leserinnen und Leser,

im Urlaub bin ich viel mit dem Zug durch Skandinavien gereist und habe einige interessante Beobachtungen gemacht:

Ein Mädchen, vermutlich um die vier Jahre alt, spielte auf ihrem schicken, in rosa Hülle eingepackten iPad. Sicher waren kindergerechte Spiele darauf, denn das Mädchen ließ doch gleich alle Fahrgäste an ihren Spielen teilhaben, war die Musik dieses Gerätes doch auf volle Lautstärke eingestellt. Der Vater saß neben dem Kind und war selbst an seinem elektronischen Gerät beschäftigt. Hinter den beiden saßen zwei ältere Damen. Diese unterhielten sich in dänisch, schwedisch oder war es doch norwegisch…ebenso lautstark. Worin lag also der Unterschied? Warum fand ich das Spiel des Kindes so erschreckend, während ich bei der lautstarken Unterhaltung der älteren Damen die Sprachmelodie genoss?

Im Hotel…nahezu alle Hotelgäste, ob jung oder alt sind während oder zumindest nach dem Frühstück an ihren mobilen Geräten aktiv. Erschreckend? Ja, das dachte ich mir anfangs auch, doch dann fragte ich mich, worin liegt der Unterschied zu Menschen, die in ihre Zeitungen vertieft sind?

Und in der Stadt…wie von Geisterhand gesteuert, weichen die gehenden Menschen beweglichen und unbeweglichen Hindernissen wie Hydranten, Litfaßsäulen und Straßenschildern aus, während sie nach unten auf ihre Smartphone starren. Sie sind hier – und doch gleichzeitig woanders?

Ist das alles nur der Gang der Zeit, eine normale Entwicklung wie jene von Brief zu E-Mail oder Pferdewagen zu Auto?  Vereinsamen wir vor unseren computerähnlichen Geräten oder können wir gerade dadurch mit mehr Menschen in Kontakt bleiben als wir es in einem persönlichen Gespräch könnten?

Die Glücksforschung sagt dazu, dass es für das Glück darauf ankommt, dass wir in langfristigen guten Beziehungen leben. Gute soziale Kontakte sind wichtig. Aber gibt es die nicht auch auf Facebook? Elektronische Spiele, E-Mails und Nachrichten in sozialen Medien verschaffen uns eine kurzfristige Befriedigung, aber keine nachhaltige Bindung. Wieviel  Kontakte bzw. Follower haben Sie eigentlich auf Xing, Facebook, Twitter…oder wie die sozialen Medien alle heißen?  Und …. Kennen Sie diese Menschen wirklich? Am Ende sind es die gemeinsamen Erfahrungen, Erinnerungen, das gute Gespräch, die persönliche Betroffenheit, vielleicht auch Mitleid und geteilte Freude , die viel mehr geben als ein rechteckiges Gerät mit einer Textausgabe über den Bildschirm.  Gefühle sind vielleicht der Schlüssel,  Gefühle wie Interesse, Zorn, Angst und auch Freude. Diese Gefühle können wir derzeit nur zwischenmenschlich leben, aber vielleicht bringt uns die neue Technologie auch hier eine Änderung…und demnächst tröstet mich das iPad, wenn ich über den Verlust meines Freundes dem iPhone weine….

Mit reisenden Grüßen

Natascha Freund

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Eine Geschichte über den eigenen persönlichen Wert …

Liebe Leserinnen und Leser,

in diesem Newsletter möchte ich Ihnen eine Geschichte über (Ihren) eigenen (persönlichen)  Wert anbieten:

Die Geschichte vom Ring

Die Geschichte handelt von einem jungen Mann, der einen Weisen um Hilfe ersucht.

„Meister, ich bin gekommen, weil ich mich so wertlos fühle, dass ich überhaupt nichts mit mir anzufangen weiß. Man sagt, ich sei ein Nichtsnutz, was ich anstelle, mache ich falsch, ich sei ungeschickt und dumm dazu. Meister, wie kann ich ein besserer Mensch werden? Was kann ich tun, damit die Leute eine höhere Meinung von mir haben?“

Ohne ihn anzusehen, sagte der Meister: „Es tut mir sehr leid, mein Junge, aber ich kann dir nicht helfen, weil ich zuerst mein eigenes Problem lösen muss. Vielleicht danach …“

Er machte eine Pause und fügte dann hinzu: „Wenn du zuerst mir helfen würdest, könnte ich meine Sache schneller zu Ende bringen und mich im Anschluss eventuell deines Problems annehmen.“

„S … sehr gerne, Meister“, stotterte der junge Mann und spürte, wie er wieder einmal zurückgesetzt und seine Bedürfnisse hintangestellt wurden.

„Also gut“, fuhr der Meister fort. Er zog einen Ring vom kleinen Finger seiner linken Hand, gab ihn dem Jungen und sagte: „Nimm das Pferd, das draußen bereitsteht, und reite zum Markt. Ich muss diesen Ring verkaufen, weil ich eine Schuld zu begleichen habe. Du musst unbedingt den bestmöglichen Preis dafür erzielen, und verkaufe ihn auf keinen Fall für weniger als ein Goldstück. Geh und kehr so rasch wie möglich mit dem Goldstück zurück.“

Der Junge nahm den Ring und machte sich auf den Weg. Kaum auf dem Markt angekommen, pries er ihn den Händlern an, die ihn mit einigem Interesse begutachteten, bis der Junge den verlangten Preis nannte. Als er das Goldstück ins Spiel brachte, lachten einige, die anderen wandten sich gleich ab, und nur ein einziger alter Mann war höflich genug, ihm zu erklären, dass ein Goldstück viel zu wertvoll sei, um es gegen einen Ring einzutauschen. Entgegenkommend bot ihm jemand ein Silberstück an, dazu einen Kupferbecher, aber der Junge hatte die Anweisung, nicht weniger als ein Goldstück zu akzeptieren, und lehnte das Angebot ab.

Nachdem er das Schmuckstück jedem einzelnen Marktbesucher gezeigt hatte, der seinen Weg kreuzte –und das waren nicht weniger als hundert –, stieg er, von seinem Misserfolg vollkommen niedergeschlagen, auf sein Pferd und kehrte zurück.

Wie sehr wünschte sich der Junge, ein Goldstück zu besitzen, um es dem Meister zu überreichen und ihn von seinen Sorgen zu befreien, damit der ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen konnte.

Er betrat das Zimmer.

„Meister“, sagte er, „es tut mir leid. Das, worum du mich gebeten hast, kann ich unmöglich leisten. Vielleicht hätte ich zwei oder drei Silberstücke dafür bekommen können, aber es ist mir nicht gelungen, jemanden über den wahren Wert des Ringes hinwegzutäuschen.“

„Was du sagst, ist sehr wichtig, mein junger Freund“, antwortete der Meister mit einem Lächeln. „Wir müssen zuerst den wahren Wert des Rings in Erfahrung bringen. Steig wieder auf dein Pferd und reite zum Schmuckhändler. Wer könnte den Wert des Rings besser einschätzen als er? Sag ihm, dass du den Ring verkaufen möchtest, und frag ihn, wieviel er dir dafür gibt. Aber was immer er dir auch dafür bietet: Du verkaufst ihn nicht. Kehr mit dem Ring hierher zurück.“

Und erneut machte sich der Junge auf den Weg.

Der Schmuckhändler untersuchte den Ring im Licht einer Öllampe, er besah ihn durch seine Lupe, wog ihn und sagte: „Mein Junge, richte dem Meister aus, wenn er jetzt gleich verkaufen will, kann ich ihm nicht mehr als achtundfünfzig Goldstücke für seinen Ring geben.“

„Achtundfünfzig Goldstücke?“ rief der Junge aus.

„Ja“, antwortete der Schmuckhändler. „Ich weiß, dass man mit etwas Geduld sicherlich bis zu siebzig Goldstücke dafür bekommen kann, aber wenn es ein Notverkauf ist …“

Aufgewühlt eilte der Junge in das Haus des Meisters zurück und erzählte ihm, was geschehen war.
„Setz dich“, sagte der Meister, nachdem er ihn angehört hatte.

„Du bist wie dieser Ring: ein Schmuckstück, kostbar und einzigartig. Und genau wie bei diesem Ring kann deinen wahren Wert nur ein Fachmann erkennen. Warum irrst du also durch dein Leben und erwartest, dass jeder x-beliebige um deinen Wert weiß?“

Und noch während er dies sagte, streifte er sich den Ring wieder über den kleinen Finger der linken Hand…

Mit wertschätzenden Grüßen

Natascha Freund

Gefunden bei: http://www.wirtschaftsmediation-siegrist.de/index.php?menuid=27

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