In meiner Praxis berate ich viele Paare, die in einem oft schmerzhaften Prozess der Entfremdung oder Trennung sind bzw. daran arbeiten, aus dem Trennenden wieder zum Gemeinsamen zu kommen. Wenn wir über Trennung sprechen, dann eben oft über die Trennung von Paaren.
Es gibt aber auch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Trennungen zwischen Generationen, wenn z.B. Kinder den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen. Auch das ist ein scheinbar unumkehrbares Ende einer langen Beziehung im familiären Kontext. Dazu gab es bei Spiegel-Online (23.12.2018) ein interessantes Interview mit der Psychologin Sandra Konrad, auf das ich mich hier teilweise beziehe und dazu auch eigene Überlegungen einbringe.
Dieser Abbruch erfolgt aber nie so ganz, denn, wie wir aus der Imago-Lehre wissen: Familie ist das, aus dem man nicht aussteigen kann. Eltern bleiben immer Eltern, egal wie schlecht das Verhältnis sein mag. Deshalb gibt es ganze andere, unsichtbare Bindungswirkungen, die unser Verhalten gegenüber unseren Eltern bis ins hohe Erwachsenenalter prägen. Gerade unser Umgang in bestimmten Situationen, den wir von zu Hause mitgenommen haben, bestimmt unseren Gang durch die Welt (z.B. wie Feste gefeiert werden oder wie sich um andere Menschen gekümmert wird).
Kontaktabbruch verschafft vielen zunächst einmal eine Erlösung vom Schmerz und es verschafft auch Macht, nämlich das Gefühl, selbstbestimmt entschieden zu haben. Genau dieses Verhalten kann aber bei den Eltern wiederum Schmerz und Unverständnis hervorrufen. Ein interessanter Gedanke dabei ist, dass, wer unter seinen Eltern leidet vielleicht erlebt, dass die Eltern auch ihre eigenen Kindheitsverletzungen übertragen, die nie geheilt wurden. Ein heute erwachsener oder alter Mensch, der seine Kinder schlecht behandelt, hat auch eine eigene Geschichte in der er oder sie als Kind – vermutlich schlecht – behandelt wurden.
Wie die Überschrift aber sagt – man sieht sich im Leben immer zwei Mal: der Abbruch mag zwar lange dauern, aber irgendwann treten Entwicklungen ein, die man gegebenenfalls nicht mehr kontrollieren kann. Eine davon sind die eigenen Kinder, die nach Oma und Opa fragen – was soll man ihnen sagen? Das andere ist gegebenenfalls der Prozess der Alterung und das Lebensende. Was tun, wenn das Telefon klingelt und die Mutter sagt: „Dein Vater liegt im Sterben, vielleicht möchtest du dich noch aussöhnen?“
Was hilft? Wichtig ist auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und herauszufinden, was einem selbst gut tut. Helfen können auch sogenannte Familienaufstellungen. In dieser Form der Beratung stellt der Klient die Mitglieder seines Umfeldes auf einem Brett im Verhältnis zu sich selbst auf. Dies lässt erkennen, wie dieser Klient zu seiner Umwelt steht, welche Bindungs- und Spannungsverhältnisse bestehen und es hilft herauszufinden: in welchem Abstand oder in welcher Nähe und in welcher Beziehung will ich zu meinen Eltern stehen.
Kinder lieben ihre Eltern zunächst blind,
später fangen sie an, diese zu beurteilen,
manchmal verzeihen sie ihnen sogar.
Oscar Wilde