Liebe Lesende,
zu Weihnachten präsentiere ich Ihnen immer gerne eine Geschichte. In diesem Jahr möchte ich Ihnen eine wahre Geschichte, ein Erlebnis anbieten:
Gegenwärtig mache ich, im Zuge meiner Ausbildung zur Psychotherapeutin, ein Praktikum in einem Altenheim. Ich arbeite mit Bewohner zwischen 60 und 96 Jahren.
Da gibt es eine Dame, die die Liebe des Kurfürsten ist und sich einerseits sorgt und andererseits ängstigt vor dem Neid der anderen. Sie ist dement. Wenn immer ich sie besuche, erzählt sie mir Neuigkeiten, die sich am Hofe zutragen. Sie ist bereits seit Jahren krank, kann nur im Bett liegen und wird mit einer Magensonde ernährt. Ihre Geschichten sind einerseits erheiternd und andererseits hört man ihre Not. So hat sie mir letztens ihre Freundin vorgestellt…es ist die Uhr. Es hängt tatsächlich eine Uhr in ihrem Blickfeld. Doch in der Nacht kann sie die Zeiger nicht sehen und das macht ihr Angst.
Eine andere Bewohnerin, die 97 Jahre alt ist, erzählt mir von ihrem ersten Mann. Ihre Augen leuchten, wenn sie mir immer und immer wieder vom Kennenlernen bis zur Hochzeit erzählt. Dann wird sie traurig, denn ihr Liebster ist im Krieg gefallen. Sie hat noch einmal geheiratet und hat mit dem zweiten Mann viele schöne Jahre verbracht. Sie hat aber nur vom ersten Mann Fotos aufgestellt. Diese Frau ist ausschließlich in ihrer Wohnung und nur ab und zu auf fremde Hilfe angewiesen. Sie ist geistig und auch körperlich altersentsprechend fit, keine Spur von Demenz. Was sie braucht – jemand der regelmäßig zu ihr kommt und ihr zuhört, wenn sie erzählt.
Auch möchte ich Ihnen noch jene Bewohnerin vorstellen, die es bisher nicht gewohnt war, alleine zu sein. Sie hat ihr Leben mit ihrem Mann und ihren 5 Kindern verbracht. Jetzt ist sie alleine in ihrem Zimmer. Besonders am Abend überkommt sie die Traurigkeit. Sie nennt es „…und dann öffnet sich regelmäßig der Wasserhahn…“ und signalisiert mir Tränen. Und trotz aller Schwere lächelt sie, zwinkert mit den Augen und fragt, was ich am Abend kochen werde. Sie isst so gerne…
Ein weiterer Bewohner hat mich persönlich sehr berührt. Der Mann sitzt im Rollstuhl, bewohnt ebenfalls ein Zimmer für sich alleine. Ich habe ihn besucht und zu einer wöchentlichen Gruppenübung, dem „Denksport“, abgeholt. Er sprach nicht viel, wirkte auf mich sehr bestimmt und ebenso traurig. Letzte Woche ist er verstorben…
Was möchte ich mit all diesen Geschichten mitgeben? Unser Leben ist endlich. Es ist so wichtig im Hier und Jetzt zu leben und das Leben zu genießen.
„Zeit“ – in welcher Form auch immer – ist einst und heute eines der persönlichsten Geschenke – zu Weihnachten, zum Geburtstag oder auch einfach mal so.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen und Ihren Familien ein ruhiges Weihnachten mit viel Zeit.