Neulich fragte der Standard seine LeserInnen: „24 Stunden ohne Männer: Liebe Userinnen, wie würden Sie diese verbringen?“ Diese Frage ist in verschiedenen Medien schon häufiger gestellt worden und soll zum Nachdenken anregen, wie Frauen 24 Stunden auf der Welt nutzen dürfen. Als Nebenbedingung gilt, dass die Männer nicht zu Schaden kommen und dass auch alle nach den 24 Stunden zurückkommen. Diese Nebenbedingung ist wichtig, schränkt sie die Handlungsmöglichkeiten doch ein wenig ein – denn Antworten wie „Ein neues Leben beginnen“ werden dann schwerer, wenn das alte Leben nach 24 Stunden zurückkehrt.
Die Antworten waren so verblüffend wie ehrlich. Oft ging es um das Ausleben von Freiheiten und die Überwindung von Konventionen und Einschränkungen. Viele Frauen gaben zur Antwort, sich anders anziehen zu wollen, mehr und angstfrei draußen zu sein, einmal zu tun, was einem sonst verwehrt ist (zum Strand fahren, nachts spazieren gehen). Was kann man daraus schließen? Männer – sowohl abstrakt als Gruppe wie auch konkret als Partner – definieren einen Rahmen (mit), in dem sich Frau mit Grenzen konfrontiert sieht?
Spannend wäre aber auch die Frage: „24 Stunden ohne Frauen: Liebe User, wie würden Sie diese verbringen?“ Diese Frage hat, soweit ich weiß, noch keiner gestellt. Was erwarten wir für Antworten? In Teilen vielleicht etwas Ähnliches (legerere Kleidung), vielleicht auch mehr Extrovertiertes (Stichwort: Männerabend). Man weiß es nicht, kann vielleicht vermuten, dass die Antworten sich mehr auf das Handeln beziehen, wenn die Partnerin nicht da ist und weniger, dass Frauen abstrakt als Gruppe 24 Stunden nicht vorhanden wären.
In beiden Richtungen wird offenbar durch die Abwesenheit des anderen Geschlechts etwas möglich, was sonst durch Grenzen limitiert ist – ein freies Verhalten, ohne dass dieses durch das andere Geschlecht bewertet wird (dies spürt man v.a. beim Thema Kleidung). Die Abwesenheit von Männern bzw. Frauen ermöglicht Frauen bzw. Männern, mehr Freiheiten auszuleben. Normalerweise endet die Freiheit des Einzelnen dort, wo das „freie Verhalten“ die Freiheiten eines anderen Menschen berührt, also dessen Grenzen überschreitet. Diese Freiheiten und Grenzen wären für 24 Stunden verschoben.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, über Freiheiten und Grenzen zu reden. Im Paarkontext kann man im Coaching erörtern, was einem in der Beziehung fehlt, wo man sich begrenzt fühlt und wie ein/e PartnerIn dazu beitragen kann, dass man sich auch in Anwesenheit des anderen Geschlechts sicher fühlt, dass zu tun und so zu sein, wie man wirklich ist, ohne Bewertungen und Urteile anderer zum Maßstab des eigenen Verhaltens zu machen. Genau diese Gespräche führe ich mit Paaren in meiner Praxis immer wieder und merke, dass diese Gespräche es möglich machen, gemeinsam Grenzen zu verschieben.