Kennen Sie Gudrun Halbrock? Nein? Ich bis vor kurzem auch nicht, bis ich 2 Interviews mit ihr las – in den Zeitschriften „Die Zeit“ und „Der Spiegel“.
Gudrun Halbrock zeichnet sich durch folgende Besonderheiten aus: Zum einen ist sie 95 Jahre alt und das ist auch heute noch eine Seltenheit. Zum anderen arbeitet sie noch als Therapeutin für Kinder und Erwachsene. Sie berät also Eltern und Familien zum Beispiel bei Fragen der Kindererziehung und dass, nachdem Sie die Ausbildung zu diesem Beruf erst mit Mitte 50 begann.
Nun könnte man meinen, die Frau sei doch zu alt, zu unmodern oder unwissend, was Beratung in der heutigen Zeit angeht. Und warum tut sie sich das überhaupt an. Darauf hat sie eine Antwort, die so erfrischend ist, dass ich sie unkommentiert zeige:
„Ich bin doch nicht blöd und sitze auf dem Sessel und lese nur Zeitung. Ich sehe etwa zehn Patienten pro Woche und erlebe, wie dankbar sie sind, dass ich so viel Erfahrung habe. Ich staune auch immer wieder über mich selbst, dass mir in den Sitzungen stets einfällt, was die einzelnen Patienten und Patientinnen brauchen.“
Wenn man das liest, dann denkt man unwillkürlich an die Kindererziehung von heute. Hat man alles richtig gemacht? Was ist mit den Helikoptereltern? War es früher strenger? Schenken wir unseren Kindern heute genug oder zu viel Aufmerksamkeit und Freiraum?
Frau Halbrock hält es daher für sinnvoll, wenn Eltern die Kindererziehung erlernen und zwar nicht „am Kind“, sondern theoretisch bzw. von einer Institution angeleitet. Sie vergleicht es mit dem Autofahren, für das man sein Können auch mit einer Führerscheinprüfung nachweisen muss, bevor man auf die Straße gelassen wird.
„Viele Eltern lassen sich in ihrer Erziehung keine Vorschriften machen (…). Vor vielen Jahren sah ich eine Sendung darüber, wie Hunde wertschätzend trainiert werden können. Da dachte ich, dass es auch ein Training für Eltern geben muss. Sie kriegen doch Erziehungsgeld. Ja, für welche Erziehung denn? Das Elterngeld darf es nicht nur fürs Wohnen und für die Ernährung der Kinder geben. Eltern müssten einen Nachweis über ihre Erziehungskompetenz erbringen. Ein achtwöchiger Kurs mit wöchentlich zwei Stunden, das ist das Minimum.“
Interessant finde ich, dass wir viele Dinge im Leben tun, ohne darauf vorbereitet zu sein. Sowohl was Beziehung als auch Familie und Kinder angeht – wir müssen probieren – und viele scheitern daran. Bei Kindern kommt hinzu, dass es sich um Wesen handelt, die zu Beginn von uns und unseren richtigen oder falschen Entscheidungen abhängig sind – ein bisschen Training schadet vielleicht nicht.
In Österreich gibt es die sogenannte Erziehungsberatung. Sie kann gerichtlich angeordnet werden, wenn es Probleme in der Erziehung gibt, zum Beispiel wenn sich Eltern trennen und negatives Verhalten an den Kindern oder über die Kinder ausgelebt wird. Schon oft habe ich als Beraterin erlebt, wie schwierig es ist, in einem solchen Kontext mit Kindern, die vielleicht 12 oder älter sind, Dinge wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Was wäre anders, wenn alle Eltern ein Training, wie von Frau Halbrock angedacht absolvieren würden?
Egal wie, der Kontakt zum Kind erscheint mir wichtig. Ein Tipp von Frau Halbrock, dem ich mich voll anschließen kann, betrifft die Kommunikation:
„Sie sollten es sich zur Gewohnheit machen, sich mit ihrem Kind abendlich auszutauschen. Sie könnten fragen: Was war heute schön für dich, und was war unglücklich? Eltern können dann auch von sich erzählen, was sie bewegt, kindgerecht natürlich. Dann ist es kein Ausfragen, sondern sie zeigen, dass sie sich wirklich für ihr Kind interessieren.“
Diesen Beitrag schließe ich mit folgendem Zitat:
„Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen.“
(Augustinus Aurelius)
Quelle: https://www.spiegel.de/familie/kindererziehung-psychotherapeutin-darueber-was-seit-jahrzehnten-schieflaeuft-a-639e5073-b4fb-4ccd-a1d6-9960a42c4441 (abgerufen am 8.10.2021)